Grobgliederung dieses Threads

 

A  Die philosophische Grundfrage (Warum ist überhaupt etwas?) als Scheinfrage

 

Exkurs: Schöpfung in der Genesis

 

B  Ursächlichkeit und Zufälligkeit (Notwendigkeit und Freiheit)

 

C  Scheinproblem der Willensfreiheit (s.a. 1.Thread) 

 

 

 

Grundfrage, Determinismus, Willensfreiheit 

 

A  Die philosophische Grundfrage 

 

Woher kommt das Universum?“ fragt ein Schüler seinen Zen- Meister. „Woher kommt das Leben? Woher kommt der Geist?“ Der Lehrer antwortet: „Woher kommt deine Frage?“

 

"Die Grundfrage setzt die Existenz als das Befragte und Fragende voraus.“

(Lüdkehaus)

 

„Jedes ´Warum´ist später als das Sein und setzt es voraus“

(Sartre, das Seinund das Nichts)

 

 

Abstract:

   

   Die philosophische Grundfrage,

warum überhaupt etwas ist und nicht nichts,

geht von drei falschen Prämissen   aus:

1) Es könne auch nichts geben.
Auch die totale   Negation ist aber etwas, eine Relation zum Sein, dessen Gegenteil.   

2) Das Sein könne einen Grund haben.
Ein Grund ist   aber bereits etwas Seiendes, setzt also das Sein voraus und kann   ihm daher nicht vorgegeben sein.

3) Es gebe eine   Alternative Sein/Nichtsein.
Auch der Gegensatz zwischen Sein   und Nichtsein ist aber etwas Seiendes und kann daher nicht über   das Sein hinausreichen.Nicht sein kann daher nicht das Sein   selbst, sondern nur die Gegenstände des Seins - konkret Seiendes   - können nicht sein.
Im übrigen ist Sein und Nichtsein schon   deshalb kein Gegensatz, da das Sein als Alles auch das Nichtsein   und umgekehrt dieses als Nichts auch das Sein umfasst und Sein und   Nichtsein jeweils keine Identität (Unterscheidbarkeit von   anderem) aufweisen und somit auch nicht voneinander abgrenzbar   sind .  

Die Frage, warum etwas ist und nicht nichts, ist von Leibniz aufgeworfen worden. Es handelt sich   um eine Scheinfrage. Denn  diese Frage nach dem „Warum“ ist die Frage nach einem Grund für das Sein. Gründe sind aber bereits etwas Seiendes, also Gegenstand des Seins. Sie können daher logischerweise nicht für das Sein selbst ( = Alles ) gelten, ihm also gleichsam vorgelagert “sein“.

 

Es ist so, wie wenn man – davon ausgehend, dass alles auf der Erde sich in Beziehung zu einem Längen- und einem Breitengrad lokalisieren lässt –  fragt, welchem Längen-und Breitengrad die Erde selbst zuzuordnen ist.Oder wenn man fragte, was nördlich des Nordpols oder südlich des Südpols ist.

 

So sinnlos die Fragen sind, was vor der Zeit war – denn ein Vorher setzt als zeitlicher Begriff die Zeit voraus, existiert also nur innerhalb der Zeit -, und, was außerhalb des Raumes ist – denn ein Außerhalb setzt als räumlicher Begriff den Raum voraus, existiert also nur innerhalb des Raumes – , so sinnlos sind auch die Fragen, warum es ein Sein gibt, und, warum es so ist, wie es ist – denn ein Grund setzt als Begriff für eine Beziehung und damit für etwas Seiendes das Sein voraus und kann daher nicht für das Sein selbst gelten, aber auch nicht für das Sosein des Seins, da er ja als Begriff des Soseins nur für einzelnes Seiendes, nicht für das Sosein insgesamt bestimmend sein kann.

 

 

 

Die philosophische Grundfrage,

 

warum überhaupt etwas ist und nicht nichts (Leibniz: „... so wird die erste Frage, die man mit Recht stellen darf, die sein: Warum es eher Etwas als Nichts gibt“ ), löst sich in der Haltlosigkeit ihrer anthropomorphen und daher naiven Prämissen auf.

 

Das gilt erst recht für die spezifische theologische Abwandlung der philosophischen Grundfrage, der

 

Frage der Theodizee

 

in der Variante,

 

warum Gott trotz seiner Allmacht das Sein geschaffen hat, obwohl dem Nichts wegen der Unvollkommenheit und Leidhaftigkeit (einschließlich des Bösen und Ungerechten) des Seins Vorzugscharakter zukomme        ( und Gott in seiner Vollkommenheit es nicht nötig gehabt habe, erst etwas zu erschaffen, das noch dazu der Entwicklung bedarf ).

 

Die Untersuchung der Frageprämissen in abnehmender Abstraktion entzieht ihnen den Boden, wobei auch diese Untersuchung in letzter Abstraktion denknotwendig nicht ohne die Prämissen unserer Bewusstseinsinhalte und – strukturen auskommen kann und damit schon dieses Fehlen einer Metaebene – seinerseits wiederum ein Denkkonstrukt – alles Fragen als letztlich selbstbezüglich, nämlich unendlich regressiv oder zirkulär, in Frage stellt.

 

Hieraus ergibt sich schon der elementare Einwand gegen die Grundprämissen auch der philosophischen Grundfrage.

 

1) 1.Prämisse: Eine Frage stelle sich und könne beantwortet werden.

 

Fragen stellen sich lediglich in unserem Denken und erfahren nur innerhalb unseres Denkens Antworten,die letztlich wegen der Selbstbezüglichkeit des Denkens in der Wechselwirkung von Frage und Antwort in unendliche Regresse und Zirkelschlüsse münden ( Das zeigt sich an den klassischen logischen Paradoxien und den paradoxen Erkenntnissen der Quantenphysik).

 

Es stellt sich die Warum/Wozu-Frage – die Warum-Frage nach der Ursachenentwicklung in der Vergangenheit, die Wozu-Frage nach der Ursachenentwicklung in der Zukunft (Zweckrichtung) – aufgrund unseres kausalistisch-finalistischen  Denkens ( innerhalb dessen wir sogar dem Zufall als Nicht-Ursache Determinierungsfunktion zusprechen, indem wir ihn in eine Wahrscheinlichkeit einbinden). Dieses ist in unserer Raum-Zeit-Vorstellung (mit ihren Unendlichkeitsparadoxien) befangen. Denn geschehen kann nur etwas in Raum und Zeit: sein nur im Raum, entstehen und sich entwickeln als Seiendes nur in der Zeit. Außerdem wird das kausalistisch-finalistische Denken von der Vorstellung eines in sich differenzierten (nicht holistischen) Seins eingeschlossen.Wir denken kontradiktorisch und reduktionistisch, das heißt in Gegensätzen (Ja-Nein; wahr-unwahr) und in der Unterscheidung von Ganzem und Teil, Einheit und Vielheit, erkennendem Subjekt und erkennbarem Objekt usw. trotz der verschwimmenden Grenzen (Zenons Teilbarkeitsparadoxien; Doppelspaltexperiment derQuantenphysik, Fernwirkung nach Quantenverschränkung; Chaosforschung und anderem).

Mit unseren Fragen werden Antworten erwartet und prädisponiert, die in die gleichen Bewusstseinsinhalte und -strukturen passen, aus denen sich die Fragenergeben haben.

Diese Selbstbezüglichkeit ist schon aus unserem Denken heraus mangels zur Verfügung stehender Metaebene unauflösbar. Kein System kann sich aus sich heraus verstehen (Gödelcher Satz).

 

Die philosophische Grundfrage müsste daher eigentlich lauten: Warum fragen wir überhaupt?

 

Auch diese Überfrage ist aber natürlich letztlich unbeantwortbar.

Denn jede Antwort (auf jedeFrage) löst letztlich immer rückbezüglich-zirkuläre Fragen aus: Warum gibt es überhaupt eine Antwort, und warum gerade diese? Warum müssen wir erst fragen, um Wahrheit zu finden? Wie können wir Wahrheit finden, wenn wir sie beim Suchen nicht bereits kennen (wie sollen wir sie mangels Metaebene erkennen)? Warum wollen und brauchen wir Antworten beziehungsweise Wahrheit?

Es gibt keine Wahrheit, auch nicht diese Wahrheit, dass es keine Wahrheit gibt, weil zur Verifizierung der Wahrheit eine Überebene erforderlich wäre und zur Verifizierung dieser Verifizierung wiederum eine Überebene usw.,also die Verifizierung in einen unendlichen Transgress führte.

 

2)  2. Prämisse: Es gebe ein Sein, dieses könne (auch) nicht sein.

 

Diese Unterscheidung von Sein und Nichtsein entspricht unserem Denken in Gegensätzen.Dieses führt zu den bekannten Zirkelschlüssen: Gegensätze bedingen sich gegenseitig, indem sie sich gegenseitig ausschließen.In dieser wechselbezüglichen Bestätigung und Verdrängung sind sie ihrerseits in den gegensätzlichen Möglichkeiten gefangen, sich aufrechtzuerhalten oder aufzuheben.Ein unendlicher Regress in circulum et ad infinitum!

 

Übertragen auf die Seinsfrage:

 

Sein (= Alles) könne es nur geben, wenn es auch das Nichtsein                  ( bezw.Nichts) hypothetisch-alternativ gebe. Denn sonst gäbe es (wegen der Selbstverständlichkeit) auch keinen Begriff dafür (ohne Nacht bedürfte es keines Begriffes für „Tag“; ohne Krankheit wäre der Begriff Gesundheit überflüssig; von einer „analogen“ Technik konnte man erst sprechen, als auch die digitale entwickelt war).Das Nichts könne es aber nicht „geben“, da es ja sonst doch etwas wäre. Daher gebe es auch das Sein nicht (Gorgias von Leontinoi).

Sein und Nichtsein schließen sich nicht nur gegenseitig aus, sondern heben sich jeweils auch selbst in Selbstwidersprüchen auf:

Das Sein muss als „Alles“ (im Gegensatz zur bloßen Anwesenheit von etwas) notwendigerweise auch das Nichts umfassen.Das „Nichts“ (im Gegensatz zur bloßen Abwesenheit von etwas) muss andererseits „sein“, insbesondere das Sein umfassen, damit nicht etwas verbleibt. Es „ist“ schon allein als (wenn auch nicht vorstellbares) begriffliches Gedankenkonstrukt einer hypothetischen  Alternative zum Sein.

 

Auch totale Bejahung und totale Verneinung widersprechen sich jeweils selbst. Die totale Verneinung bejaht sich selbst und die totale Bejahung umfasst auch die Verneinung.

 

Speziell das eigene Sein oder Nichtsein des Fragenden entzieht sich der Frage in der Selbstbezüglichkeit des Gegensatzes: „Cogito, ergo sum.“(Descartes), aber:  Sum, ergo cogito!“ Mein Denken beweist meine Existenz, aber was beweist mein Denken? Im übrigen beweist mein Denken allenfalls dann meine Existenz, wenn es keine weitere Möglichkeit als diese oder ihre Verneinung gibt.Der Grundsatz der aristotelischen Logik vom ausgeschlossenen Dritten ist aber schon durch die Erkenntnisse der Quantenphysik von der „verschwommenen“ Existenz der letzten Seinsbereiche ( Superposition; Heisenberg´sche Unschärferelation) überholt ( mehrwertige Quantenlogik )!

 

3)  3.Prämisse: Das Sein müsse einen Grund/Zweck/Sinn haben.

 

Doch: Welchen Grund/Sinn sollte ein Grund/Sinn haben?

 

Eigenschaften und Beziehungen (Gründe und Zwecke) begründen das Individuelle. Sie können daher dem Universalen nicht zukommen.

So hat jedes individuelle Leid einenGrund, der universale Umstand, dass es überhaupt Leid gibt, aber nicht. Das Sein und seine Ausgestaltung als Sosein sind kontingent. Eigenschaften und Beziehungen sind selbst etwas Seiendes und können daher nur innerhalb des Seins, nicht für das  Sein selbst und das damit zwangsläufig verbundene Sosein gelten.

Die Unmöglichkeit von Letztbegründungen beschreibt Hans Albert (geboren 1921) als „Münchhausen-Trilemma“ wie folgt:

Wenn man „für alles eine Begründung verlangt, muss man auch für die Erkenntnisse, auf die man jeweils die zu begründende Auffassung … zurückgeführt hat, wieder eine Begründung verlangen.“ Das führt zur „Wahl zwischen

  1. einem infiniten Regress, der durch die Notwendigkeit gegeben erscheint, in der Suche nach Gründen immer weiter zurückzugehen, der aber praktisch nicht durchzuführen ist und daher keine sichere Grundlage liefert;

  2. einem logischen Zirkel  in der Deduktion, der dadurch entsteht, dass man im Begründungsverfahren auf Aussagen zurückgreift, die vorher schon als begründungsbedürftig aufgetreten waren, und der ebenfalls zu keiner sicheren Grundlage führt; und schließlich:  

  3. einem Abbruch des Verfahrens an einem bestimmten Punkt, der zwar prinzipiell durchführbar erscheint, aber eine willkürliche Suspendierung des Prinzips der zureichenden Begründung involvieren würde.“

Alles muss durch etwas anderes bewiesen werden, und jede Beweisführung wird sich entweder im Kreise bewegen oder als endlose Kette in der Luft hängen. In keinem Falle lässt sich etwas beweisen.         ( Timon von Phlieus, 320-230 v. Chr.,  Schüler des Pyrrhon von Elis )

„Wenn nämlich das, aus dem etwas erkannt wird, immer aus etwas anderem erkannt werden muss, so gerät man in die Diallele oder den unendlichen Regress.Möchte man aber etwas, aus dem etwas anderes erkannt wird, als aus sich selbst erkannt annehmen, so widersteht dem, dass …  nichts aus sich selbst erkannt wird. Wie jedoch das Widersprüchliche entweder aus sich selbst oder aus etwas anderem erkannt werden könnte,  sehen wir keinen Weg, solange sich das Kriterium der Wahrheit oder der Erkenntnis nicht zeigt.“ (Sextus Empiricus, 2. Jh. )

 

 

Außerdem: Grund und Zweck sind Seinsvorstellungen und -begriffe. Sie können daher dem Sein nicht vorgelagert werden, es transzendieren, ohne selbst bereits dem Sein anzugehören.

 

Im übrigen kann es außerhalb des Seins schon deshalb keine Kausalität oder Finalität geben, da diese über das Sein als solches hinaus  seinsbedingte Raumzeit voraussetzen.Denn Grund und Ziel beziehen sich auf etwas, was entsteht und sich entwickelt, und setzen daher ein „Vorher“ und “Nachher“ sowie ein Gestaltungsobjekt in einem dafür offenen Medium voraus -  ganz abgesehen vom ersten Grund und letzten Zweck, die in einem endlichen Re- beziehungsweise Progress untergehen und damit allen Gründen und Zwecken den Boden beziehungsweise Horizont entziehen.

 

Das Sein kann gar nicht entstanden sein, da Entstehung bereits Sein (Entwicklungsmöglichkeit) voraussetzt. Es kann auch kein Ziel verfolgen, da dieses außerhalb des Seins gesetzt worden sein müsste und damit bereits Sein wäre (Münchhausen kann sich nicht selbst aus dem Sumpf ziehen!).

 

Die philosophische Grundfrage ist logisch betrachtet eine Scheinfrage. Das ergibt sich nicht lediglich aus einer semantischen Argumentation wie bei Wittgenstein. Man kann einfach die Frage, auf  welchem Breitengrad die Erde liegt, nicht sinnvoll beantworten, weil schon die Frageprämisse unlogisch ist,dass etwas auf der Erde auch für diese gelte. In der Logik spricht man von einer unzulässigen μετάβασις εἰς ἄλλο γένος (extrapolatio ante principium), einer unzulässigen Übertragung auf eine Überebene. Breitengrade setzen die Erde und (seiende) Gründe das Sein bereits voraus.

 

Heidegger sieht dies  auch so.  So schreibt er zur Frage des Grundes des Seins in „Der Satz vom Grund“: „Nur das Sein des Seienden hat Gründe“- Gründe gibt es also nur innerhalb des Seins, weil sie selbst etwas Seiendes sind. „Der Grund bleibt  „ab“ vom Sein. Sein ist „Ab“-Grund.“ Statt: „NICHTS ist ohne Grund“ müsse es heißen: „Nichts IST  ohne Grund“. Das heißt, anders ausgedrückt: Statt „Alles hat einen Grund“ muss es heißen  „Letztlich hat nichts einen Grund“.

 

Im „Wesen des Grundes“ findet sich zusätzlich zu den bereits zitierten Passagen folgende Bestätigung dafür , dass  er  die Grundfrage für unlogisch erachtet:
Die Grundfrage entspringe einem „vorgängigen Seinsverständnis“, einem Verständnis des „Seins als Seinsgrund“, als  „letzter, nicht mehr übersteigbarer Horizont alles menschlichen Verstehens“, als „Transzendenz“, nämlich als „den weltentwerfend befindlichen Gründen“.
 

Weitere Zitate:

 

„Einführung in die Metaphysik“,1976:

 

Der Grund für das Seiende könne keine Kausalität, keine Ursache für das Seiende meinen, „die von der gleichen Art und aus der gleichen Ebene sind wie es selbst“ (2)

 

„ Satz vom Grund“:

 

Sein und Grund seien „das Selbe“. .„Sein 'ist' im Wesen: Grund“ (93,114). Daher könne es seinerseits „nie erst noch einen Grund haben...Das 'Sein' fällt nicht in den Machtbereich des Satzes vom Grund, sondern nur das Seiende“.Das Seiende sei, weil es ist.

 

In „ Beiträge zur Philosophie“ gebraucht er folgende Metapher:

 

Baum = Seiendes

Wurzel = Sein

Grund = Seyn ( Das Y. steht für die Einmaligkeit , da auch noch das „Nichtige und das Nichts“ als solches „ist“ ( Beiträge 2, 74).

 

 

Was bedeuten denn  Gründe? Der Mensch führt etwas auf etwas anderes zurück und gerät dadurch in einen unendlichen Regress. Daher nimmt er irgend einen letzten Grund an. Was ist aber der Grund für diese Kette von Gründen? Und wenn es einen gäbe, warum gibt es einen solchen und gerade ihn? Wenn man unter dem Sein das Alles versteht, dann auch alle Gründe. Für das Sein selbst bleibt daher keiner mehr übrig.

 

4)  4. Prämisse: Sein und Nichtsein seien miteinander vergleichbar.

 

Das (als solches spätestens von der Quantenphysik entlarvte) geistige Konstrukt von Grund und Zweck versagt daher und erst recht auch beim Versuch einer „Begründung“ des Seins aufgrund eines (hypothetischen) Vergleiches mit dem Nichtsein. Nichts, was für oder gegen das Sein spricht, spricht zugleich umgekehrt gegen oder für das Nichtsein. Denn das Nichts ist nicht vergleichsfähig, weil es überhaupt keine Fähigkeit(Eigenschaft) besitzt, nicht einmal diese Negation, geschweige denn einen besseren oder schlechteren Grund als das Sein oder auch nur überhaupt einen Grund für sich.

 

Aus der Perspektive des Seins mögen sich (bewusstseinsstrukturierte) Gründe für ( „beste aller Möglichkeiten“ nach Leibnitz ) oder gegen (Unvollkommenheiten,Leiden nach  Schopenhauer; Entwicklungsbedürftigkeit) das Sein finden lassen. Das Nichts ist aber keine Alternativmöglichkeit, da nicht nur in ihm keine (bessere oder schlechtere) Perspektive besteht, sondern es auch aus dem Sein heraus keine Perspektive bietet, ohne doch etwas zu sein. Das Nichts reicht über die Abwesenheit der im Sein (in unserem Bewusstsein) für oder gegen dieses sprechenden Gründe hinaus; in ihm ist auch nichts abwesend,es umfasst, besser oder schlechter zu sein als das Sein.

 

5)  Spezielle Prämissen der Theodizeefrage:

 

a) Im Widerspruch zur Prämisse der Allmacht Gottes, die ihrerseits auf die anthropomorphe Vorstellung zurückgeht, dass das Sein beherrscht werden müsse,steht die Vorprämisse der

 

    Existenz Gottes,

 

denn ein seiender Gott wird vom Sein transzendiert. Er ist „primitiver“ als die Elementarteilchen in der Quantenphysik, die über Sein und Nichtsein (komplementär) erhaben sind ( Superposition; Bonhoeffer: „Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht!“).

 

 

b) Im Widerspruch zur Prämisse der Vorexistenz Gottes steht die Prämisse, dass er das Sein erst erschaffen habe, abgesehen davon, dass eine Schöpfung - das Entstehenlassen von etwas noch nicht Vorhandenem -  bereits Zeit und Raum voraussetzt und der Allmacht Gottes auch insofern widerspricht, als ein Allmächtiger nichts Neues und schon gar nicht Entwicklungen zu Zielen nötig hat.

 

c) Die Prämisse, dass Gott einen zureichenden Grund für die Schöpfung, wie sie ist, gehabt haben müsse, widerspricht ebenfalls der Allmacht, die nicht in den Grenzen der (menschlichen) Vernunft gefangen sein kann.

 

d) Die Prämisse, dass das Universum unvollkommen (Naturkatastrophen, Täuschungen,Mängel, Entwicklungsabhängigkeit usw.), leidhaft und vom Bösen und Ungerechten mitbestimmt sei, verabsolutiert und apriorisiert bloße Bewusstseinsinhalte, insbesondere des Menschen (Tiere kennen zwar Leiden, aber nicht die Wertung von Verhaltensweisen als böse und von Naturgegebenheiten und –geschehnissen als Unvollkommenheiten). Zu fragen ist daher, warum Gott den Lebewesen Bewusstseinsinhalte verliehen hat, mit denen sie nicht glücklich sind, letztlich, warum sie die Welt bipolar in der Unterscheidung von Positiv und Negativ sehen müssen und nach dem Grund fragen müssen.

 

Logische Antworten werden der über die Logik erhabenen Allmacht Gottes nicht gerecht, so:

 

Wenn Gott vollkommen ist, kann er keine vollkommen erscheinende Welt geschaffen haben, da sie dann er selbst (das Vollkommene) geblieben wäre.

 

Oder: Gäbe es nicht das Negative, gäbe es auch nicht das Positive.

 

Auch: Wenn die Welt beziehungsweise das Bewusstsein überhaupt nicht wäre, würden sich die in ihr aufgeworfenen Fragen gar nicht stellen, und wenn sie anders wäre, wäre ebenfalls zu fragen, warum so und nicht anders.Das Sein kann immer nur so sein, wie es ist, oder gar nicht. Gottes Schöpfung ist dann kontingent

 

Die Theodizeefrage krankt demnach bereits an der Prämisse, dass Gott, obwohl er in seiner (paradoxen) Allmacht letztlich als  undenkbar definiert ist und daher jedem Beweis und jeder zweifelsfreien Offenbarungsmöglichkeit (umstrittener Christus) entrückt sein muss, dem Denken zugänglich sein könne. Mag er in seiner Undenkbarkeit auch lediglich erdacht worden sein (wie das Nichts), er kann jedenfalls immer noch so gedacht werden, dass er nicht „zerdacht“ werden kann.

 

 

Resümee:

 

Innerhalb unseres raum-zeitlich begriffenen Systems des Daseins können dessen Ursprung und Ende nicht wahrgenommen werden. Vielmehr verschwimmen diese Letztheiten –wie auch andere letztlich ebenfalls auf raum-zeitliche Vorstellungen zurückgehende Ultimitäten wie letzte Ursache, letztes Ziel, letzte Wahrheit, letzter Sinn – in der Unendlichkeit eines selbstbezüglichen Zirkels (unendlicher Re-oder Progress).

Denn vor, nach und außerhalb des Seienden kann Seiendes (Raum, Zeit, Ursache, Zweck usw.) nicht(gewesen) sein, und innerhalb des Seienden kann Seiendes nur im Sein entstanden sein, sein und entstehen. Einerseits kann also nichts Seiendes in ein Jenseits des Seins hinausweisen, andererseits ist diesseits des Seins alles Seiende letztlich nur in der Unendlichkeit des Seins (in  allen zeitlichen, räumlichen und logischen Richtungen) und damit in sich selbst begründet:

Es ist so, weil es ist; wäre es nicht oder anders, dann eben letztlich nur, weil das Sein nicht bez.gerade so (anders) wäre. Das Sein in der Unendlichkeit des Alles umfasst auch das Nichts, das nur als Gegenteil von Seiendem innerhalb des Seins, als „seiende“ Negation, denkbar ist, nicht als Gegenteil des Seins überhaupt, da es dann ja -  als Gegenteil, als Negation -  immer noch Seiendes wäre, ein – wenn auch nicht mehr vorstellbares – Gedankenkonstrukt.

 

Daher „verschwimmt“ in der Quantenphysik der Mikrokosmos in der Heisenberg´schen Unschärferelation und in der Relativitätstheorie der Makrokosmos in der in sich gekrümmten Raumzeit.

 

14 Milliarden Jahre nach dem –wahrscheinlich unendlich in sich gekrümmten – Urknall herrschte bis zur Entstehung des Lebens blankes Sein: ein unendliches, totes, aber sich (trotz Unendlichkeit) entwickelndes All, gespenstisch, da es von niemandem wahrgenommen wurde (wenn nicht – nicht weniger gespenstisch – von einem einsamen Gott allein für sich); ein Universum nicht einmal „für die Katz´ “, da es sie noch nicht gab.

 

Auch heute, nach der Entstehung von Leben, hat dieses Sein nichts von seinem Gespenstcharakter eingebüßt:Es ist immer noch nicht einmal      „ für die Katz “ da, weil diese es nicht wahrnehmen kann; auch für uns Menschen ist es unfassbar in seiner Unendlichkeit. Soweit wir es wahrnehmen (können), handelt es sich nur um einen unendlich kleinen Teil und noch dazu unter einem unendlich eingeschränkten Aspekt, nämlich der Zugänglichkeit für unsere Sinne, der Subjektivierung durch unsere Sinneseindrücke und unsere Gefühle sowie der Erfassbarkeit mit unseren selbstbezüglichen Denkstrukturen, die uns in letzter Konsequenz immer nur  im Kreis der unendlichen Re-und Progresse herumführen (strukturdeterminiertes Bewusstsein).

 

EXKURS

Schöpfungslegende der Genesis (1.Mos. 1.1 ff )

 

Die Schöpfung im Sinne der Schöpfungsgeschichte der Genesis ist nicht im Sinne eines zeitlich – kausalen Aktes oder Prozesses zu verstehen, schon gar nicht im Sinne einer creatio ex nihilo (Schöpfung aus dem Nichts) oder einer Zurechnung des Seins und Nichtseins zu einem seienden  Gott.

 

I  Das ergibt sich schon aus dem Wortsinn des hebräischen Urtextes.

 

Zutreffend lautet die Einheitsübersetzung  „ ´Im` Anfang schuf...“  im Gegensatz zur lutherischen Übersetzung  „ `Am´ Anfang...“.

Die Zeit war also bei der Schöpfung nicht vorgegeben (Wolfgang Beinert, „Theologie der Zeit“, in „Stimmen der Zeit“, 12/2012) – Gott war ihr nicht unterworfen -, sondern wurde erst mit ihr „erschaffen“. Die Frage, ob etwas und was „vor“ der Schöpfung war, ist also selbstbezüglich, da es ein „vor“ der geschaffenen Zeit nicht geben kann, denn ein solches „Vorher“ wäre ja bereits ein Zeitraum gewesen.

 

Eine solche Paradoxie ist aber in der deutschen Übersetzung nicht vollständig ausgeräumt, denn auch der Begriff des Anfangs bezeichnet einen Zeitpunkt, und ein solcher setzt die Zeit bereits voraus. Zusätzlich bezeichnet der Begriff des „Schaffens“ einen zeitlichen Vorgang, nämlich, dass etwas entsteht, was vorher noch nicht oder noch nicht so vorhanden war.

 

Der hebräische Text weist diese Paradoxie nicht auf.

 

1)  „Bereschit bara..“ ist mit  „imAnfang schuf..“ zu oberflächlich übersetzt.

 

a)  „Im Anfang“ ist gleichbedeutend mit „in dem Anfang“. Der bestimmte Artikel vor dem Substantiv „Anfang“ fehlt jedoch im Urtext. Dort heißt es nicht „ba reschit“, sondern „be reschit“. Gemeint ist daher nicht „der“ Anfang schlechthin, das heißt ein absoluter der Zeit, sondern „ein“ Anfang, nämlich der des Schöpfungsprozesses (Rattray im „Theologischen Wörterbuch zum Alten Testament“ unter „reschit“).

Außerdem heißt „reschit“ nicht „Anfang“ im nur zeitlichen, sondern überhaupt im prinzipiellen Sinn. „Bereschit“ ist daher eher mit  „in der Hauptsache“ zu übersetzen (Friedrich  Weinreb, „Kabbala im Traumleben des Menschen“, Kapitel 9).

 

b)  „Bara“ ist mit dem zeitlichen Begriff „schuf“ zu anthropomorphistisch und ebenfalls auf das Zeitliche verengt übersetzt. Dieses Verb steht im Singular (obwohl das Subjekt „ Elohim“ ein Pluralwort ist) und in zeitloser Form.Es wird in der hebräischen Bibel nur in Verbindung mit Gott als dem Handelnden verwendet (Bernhardt im „Theologischen Wörterbuch des Alten Testaments“ unter „bara“) und zwar auch in Bezug auf negative Objekte wie die Finsternis und das Böse (Jesaja 45.7).

Das unterstreicht den analogielosen Charakter des Schöpferwerkes  Gottes (Bernhardt a.a.O.).

„Bara“ ist am ehesten noch mit „ohne vorherige Ursache ( „zufällig“: Spr. 8.22; Wh. 2.2; Koh.3.19a ) ins Sein aufnehmen“ zu umschreiben.

 

Das Verb hat die Grundbedeutung von „trennen“ (Bernhardt a.a.O.). Aus der Einheit von Sein und Nichtsein (in Gott) werden Zeit, Gegensätze, Vielheiten, Beziehungen. Erstaunlich ist die Parallelität zum Kollaps von Superpositionen in der Quantenphysik.

 

2)   Auch die Übersetzung der Bezeichnung des Schöpfers mit „Gott“ ist zu wenig differenziert. Im hebräischen Urtext steht „Elohim“. Es handelt sich um ein geschlechtsloses Pluralwort. Trotz der Mehrzahl dieses Subjektes steht das Prädikat („schuf“) im Singular (bara), so dass der Satz – unter Beibehaltung der zu simplen Übersetzung im übrigen – lautet:  „Im Anfang schuf die (mehreren) Elohim Himmel undErde.“

 

Mit der Wahl der Bezeichnung „die Elohim“ als Vielheit in Einheit wird zum Ausdruck gebracht, dass der Schöpfer außerhalb der Kategorien seiner Schöpfung steht (Thomas von Aquin: „Deus non est in genere“), auch außerhalb der höchsten, nämlich außerhalb des Gegensatzes von Sein und Nichtsein, den er ja  – wie alles -  erst geschaffen hat. In ihm fallen alle Gegensätze zusammen (Nikolaus von Kues: „coincidentia oppositorum“). „Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht“ (Bonhoeffer). Er ist überseiend.  

Selbstverständlich steht Gott auch außerhalb des Kausalitätsprinzips. Seiner Schöpfung liegt kein Grund zugrunde. Er ist Gründen nicht unterworfen, sondern hat solche - wie alles - erst geschaffen. Die Grundfrage ist also auch in der Theologie lediglich eine Scheinfrage!

 

Auch wo er sich „adonai“ - Herr - nennt, sprengt er die Gegensätze: Die Wortendung ist  weiblich (Weinreb a.a.O., Kap. 2).

Auch das hebräische Wort für Himmel –  „schamajim“ - bezeichnet einen Ort, wo das eine und sein Gegensatz ist (Weinreb a.a.O., Kap. 7).

 

Das wird bestätigt durch den zweiten Satz der Genesis: „. und Elohims `Geist´ schwebte über dem Wasser“. Dieser „ruah“ (gr. pneuma) heißt wörtlich „Hauch“, bedeutet also etwas nicht Fassbares (aber Erfassbares).

 

 

II

1)  Eine „Schöpfung aus dem Nichts“ ist eine selbstwidersprüchliche Aussage. Da jede Schöpfung (auch jede Entstehung überhaupt) ein zeitlicher Vorgang ist, setzt sie die Zeit voraus, so dass diese bereits im Nichts, aus dem geschöpft worden sein soll, hätte vorhanden gewesen sein müssen, das Nichts also doch etwas gewesen sein müsste (abgesehen davon, dass das Nichts ohnehin ein selbstwidersprüchlicher Begriff ist, denn gäbe es ein solches, wäre es ja doch etwas).

 

2)  Außerdem müsste das Nichts Gott vorgegeben gewesen sein. Er hätte es also nicht geschaffen, wäre nicht allmächtig, hätte ein Gegenüber, wäre vom Gegensatz zwischen Nichts und Sein überbestimmt

 

3)  Die Idee von der Schöpfung aus dem Nichts lag der Genesis nicht zugrunde, sondern findet sich erst im zweiten Makkabäerbuch aus dem zweiten Jahrhundert v. Chr. ( 2. Makk.7.28 f ).

 

 

III  Dass Gott kein bloßer Gegenstand des Seins ist, ergibt sich schon daraus, dass er sonst das Sein (und den Gegensatz zwischen Sein und Nichtsein) nicht erst geschaffen hätte, sondern vom Sein sozusagen als Übergott überbestimmt wäre, was dem monotheistischen Gottesbegriff widerspräche ( s.o. I 2 ).    

 

B Ursächlichkeit und Zufälligkeit (Notwendigkeit und Freiheit; Kausalität und Kontingenz)

 

 I Die Kausalitätsfrage 

 

"Woher kommt das Universum?" fragt ein Schüler seinen Zen-Meister. "Woher kommt das Leben? Woher kommt der Geist?" Der Lehrer antwortet: "Woher kommt deine Frage?"

 

Das Kausalitätsprinzip besagt, dass alles eine Ursache habe und damit Glied einer Ursachenkette sei, die mit weiteren Ursachenketten verflochten sei. Die Annahme einer letzten/ersten Ursache ist selbstwidersprüchlich.Denn als bereits Seiendes setzt eine solche Ursache das Sein voraus,das sie erst verursacht haben soll. Aber auch schon innerhalb des Seins ist die Annahme einer letzten Ursache selbstwidersprüchlich. Denn Ursachen setzen die Zeit voraus, in der sie ja ihre Wirkungen hervorrufen. Schon für die Zeit selbst, nicht erst für das Sein kann es daher keine Ursache geben.Für Ursachen – als Erscheinungen der Zeit – gibt es daher keine Ursache.

 

Das Kausalitätsprinzip ist durch die modernen Naturwissenschaften widerlegt. Danach ist der Zufall elementar (Beispiele: Genmutation, Quantensprung). Es herrscht lediglich eine statistische Kausalität. Die Zufälle führen makrokosmisch betrachtet zu Wahrscheinlichkeiten und die Wahrscheinlichkeiten zu Sicherheiten, die allerdings nur große Wahrscheinlichkeiten, bei denen die Ungenauigkeit vernachlässigt werden kann, darstellen. Man kann freilich den Zufall auch als letzte, selbst ursachenlose Ursache für das von ihm ausgelöste Folgegeschehen  betrachten oder in den Systemen, in denen er auftritt, seine Ursache sehen.

Auch Ursachen sind zufällig. Es gibt keine Antworten auf die Fragen: Warum gibt es sie überhaupt  und warum gerade die, die es gibt?

 

David Hume sieht in der Beziehung von Ursache und Wirkung ohnehin lediglich eine regelmäßige Zeitabfolge, so dass auch der Zufall nur ein zeitliches Ereignis ist.

 

„Das Zurückführen der Wirkung auf die Ursache ist bloß ein historisches Verfahren. Z.B. die Wirkung, dass ein Mensch getötet, auf die Ursache der losgefeuerten Büchse.“

(Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen 1244)

 

Aristoteles lehrte  in Übereinstimmung mit der Evolutionslehre (Gemutationen) und der Quantenphysik( Quantensprünge, radioaktiver Zerfall )  : „ἐν γὰρ τῷ μεταξὺ ψεῦδος  ἔσται τὸ εἰπεῖν τοῦτο- denn im Intervall wird die Lüge liegen, dieses zu behaupten, nämlich die Möglichkeit, von einem früheren auf ein späteres Ereignis zuschließen (Metaphysik,95a34)

 

 

 

Das Kausalitätsgesetz besagt, dass bestimmte Ursachen beziehungsweise bestimmte Arten von Ursachen regelmäßig zu bestimmten Wirkungen beziehungsweise zu bestimmten Arten von Wirkungen führen. Demnach sind alle Geschehnisse vorausdeterminiert, auch die willentlichen Eingriffe in die Kausalketten.Die Zukunft ist dann also festgelegt und daher die Zeit lediglich ein überflüssiger Umweg zu jeder bestimmten Wirkung, denn warum sollte dann etwas erst werden statt gleich sein!

Kausalgesetze gelten nach den modernen Naturwissenschaften – insbesondere nach der Chaostheorie - nur bis zu einem Prognosehorizont, jenseits dessen  sich die komplexen dynamischen Systeme – die im Verhältnis zu den linearen Systemen die Regel darstellen – wie zu Beginn wieder nach dem Zufallsprinzip weiterentwickeln. Die Zeit ist daher kein überflüssiger Umweg zu einer festgelegten Zukunft, da die Zukunft wegen  des Zufallsprinzipes  nicht endgültig festgelegt ist. Sie ist allerdings lediglich ein geistiges Konstrukt. Das hat schon Kant (in seinen "Antinomien") erkannt und haben die modernen Naturwissenschaften (Relativitätstheorie, Quantenphysik) bestätigt.

 

Leibnitz' Satz vom zureichenden Grunde (principium rationis sufficientis), dem alles unterliege, ist schon durch das Zufallsprinzip der modernen Naturwissenschaften (Evolutionslehre, Quantenphysik) widerlegt.

Aber auch erkenntnistheoretisch ist letztlich alles kontingent. Es gibt keinen Grund dafür, dass etwas ist und so ist, wie es ist. Ein solcher Grund ist auch denkunmöglich,da ein Grund ja selbst etwas Seiendes ist, und daher dem Sein nicht vorgelagert sein kann. Die Frage, warum etwas ist und gerade so ist, wie es ist, ist infinit, da sie ja in jedem anderen Sein ebenfalls gestellt werden könnte.Sie ist aber bereits widersprüchlich, da die Möglichkeit des Andersseins etwas Seiendes ist und daher nur für Seiendes, nicht für das Sein selbst gelten kann.

 

Quintessenz: 

Der Versuch von Letztbegründungen führt ohnehin zu dem nach Hans Albert so genannten Münchhausen-  Trilemma“, nämlich entweder zu einem unendlichen Regress oder zu einem Zirkel oder zu einem willkürlichen Abbruch. Diese Aporien haben im Altertum bereits Timon und Sixtus Empiricus erkannt. Letztlich sind sie unserem Denken systemimmanent. Was Gödel mit seinem Unvollständigkeitssatz für den Bereich der Mathematik aufgezeigt hat, gilt überhaupt für unsere Bewusstseinswelt. Wir können aus unseren Bewusstseinsinhalten und -strukturen wie eben auch dem Kausalitätsdenken nicht ausbrechen, um es zu überblicken. Dies würde eine Metaebene der Erkenntnis und diese wiederum eine solche usw. ad infinitum voraussetzen.

 

Die Meinung, es gebe für alles eine  erste bez. (rückblickend) letzte Ursache, insbesondere Gott sei die  "prima causa",oder wie es Aristoteles ausgedrückt hat:  "der erste Beweger", ist nicht schlüssig:
Ursache ist ein Ereignis oder Akt, der ein anderes Ereignis oder einen anderen Akt bewirkt. Ursache und Wirkung stehen daher in einem Verhältnis zeitlicher Abfolge. Auch die erste Ursache setzt daher die Zeit voraus. Sie kann somit nicht auch die Ursache für die Zeit sein. Wenn Gott die erste Ursache ist, ist er also nicht die höchste Instanz, sondern durch die Zeit überbestimmt!

Zu einem entsprechenden Ergebnis kommt man, wenn man erst bei bei der Betrachtung ansetzt, dass die Wirkungen einer Ursache möglich, wahrscheinlich oder sicher sein müssen. Auch die letzte Ursache setzt daher die Möglichkeit, Wahrscheinlichkeit oder Sicherheit von Wirkungen bereits voraus und scheidet somit als deren Ursache aus.

Doch bereits grundlegend gesehen führt die Annahme einer letzten Ursache zum Selbstwiderspruch:

Denn auch die letzte Ursache ist etwas Seiendes und setzt daher das Sein voraus, so dass sie dieses nicht verursacht haben kann und daher nicht die letzte Ursache sein kann.

 

II Kausalität und Kontingenz 

 

„Das Zurückführen der Wirkung auf die Ursache ist bloß ein historisches Verfahren. Z.B. die Wirkung, dass ein Mensch getötet, auf die Ursache der losgefeuerten Büchse.“

(Johann Wolfgangvon Goethe, Maximen und Reflexionen 1244)

 

" Stellen wir uns nun ein Universum vor, welches alle Dinge und alle Beobachter enthalten würde. Würde es sich in einem wohldefinierten Quantenzustand befinden, dann würde keines der Dinge und keiner der Beobachter wirklich existieren. Es könnte dann nicht sinnvoll gesagt werden, dass irgendeines seiner Objekte irgend einem seiner Beobachter bekannt wäre; in metaphorischer Sprache könnte man nur sagen, dass alle Objekte und alle Subjekte in dem einen Geist verschwunden sind." (Carl Friedrich von Weizsäcker, Die philosophische Interpretation der modernen Physik II 4 ) 

 


Auch Ursachen sind kontingent (zufällig).Denn es können folgende Fragen nicht ohne Selbstbezüglichkeit beantwortet werden:Warum gibt es sie(die Ursachen) überhaupt und warum gerade die, die es gibt?

Kausalität ist ein Vorgang und damit eineErscheinung der Zeit. Diese Zeit ist dann nicht überflüssig, wenn die strenge Kausalität zugunsten einer nur statistischen aufgehoben wird, wovon die Naturwissenschaften ausgehen, also das Zufallselement eingeführt wird. Dann ist die Welt nur bis zu einem Prognosehorizont determiniert, ab dem sich Möglichkeiten der Weiterentwicklung gabeln,von denen ursachenlos und daher nicht prognostizierbar eine verwirklicht wird bis zur nächsten Gabelung (sogenannte Bifurkation).

Seit der frühen Aufklärung (Hume, Kant) vertritt niemand mehr in der Geistesgeschichte und in der Wissenschaftsgeschichte die Auffassung einer strengen Kausalität :

Bekanntlich standen sich vorher zwei Antipoden gegenüber.

Thomas von Aquin sah bei seinen Gottesbeweisen im Zufall eine Offenbarung Gottes, nämlich seiner Freiheit und Unbegreiflichkeit.

Der Quantenphysiker Erwin Schrödinger,nach dem die Schrödinger´schen Wellengleichungen benannt sind, hat in seinem grundlegenden Aufsatz über "Das Gesetz des Zufalls" folgendes ausgeführt:
" Zufall ist das einzige herrschende Prinzip, das auch alledem, was wir Kausalität nennen, zugrundeliegt. Was in Wirklichkeit Spiel dieses Zufalls ist, kann zu statistisch voraussehbaren Konsequenzen führen, und Naturgesetz oder Kausalgesetz sind nur Namen für solche statistischen Regelmäßigkeiten.Diese experimentelle Entdeckung lässt sich bereits auf die philosophische Entdeckung Humes zurückführen, wonach zwischen dem, was wir Ursache, und dem, was wir Wirkung nennen, keine innergesetzliche Verbindung besteht, sondern das bloße Band gewohnheitsmäßiger Erfahrung."
Zufall und Notwendigkeit sind also keine sich ausschließenden, sondern sich ergänzenden Gegensätze.(sogenanntes Komplementaritätsprinzip der modernen Naturwissenschaften)

Dagegen sah Laplace die Welt als ein bloßes aufgezogenes Uhrwerk an. Alles sei von vornherein festgelegt. Ein Allwissender könne somit alles voraussagen.Dieser ist bekanntlich als der abschreckende "Laplace`sche Dämon" in die Wissenschaftsgeschichte eingegangen.  

 

Zusammenfassung:

 

Soweit das Prinzip der Kausalität(der statistischen im Quantenbereich, der – wegen Vernachlässigbarkeit der elementaren Unschärfen – strengen im übrigen) gilt, ist dieses zufällig (Aus welchem Grund sollte es Gründe geben?). Und, soweit der Zufall herrscht (nicht im epistemologischen Sinn der Unerkennbarbarkeit hochkomplexer Zusammenhänge, sondern ontologisch wie beim Quantensprung und der Genmutation), ist er notwendig, da sonst die Zukunft vollständig determiniert wäre und damit die Zeit als bloßer Umweg zu etwas, was noch nicht  “ist“, sinnlos wäre (Warum sollte nicht gleich sein, was erst wird?) .

Beides, Zufall und Notwendigkeit, setzen als zeitliche Erscheinungen die Zeit voraus. Ursachen sind den Folgen vorgelagert, Zufälle ändern regelmäßige Geschehensabläufe.Die Zeit ist aber ebenfalls kontingent.

 

C  Das Scheinproblem der Willensfreiheit:

 

Siehe zunächst unter "Theodizeefrage"-Exkurs  

 

Das Wesentliche:

 

Phil. 2.13 : „Gott bewirkt in euch das Wollen und das Vollbringen.“

 

Sprichw. 8.35 (i.d.F. der Septuaginta): „Der Wille wird vom Herrn zubereitet.“

 

Augustinus (Brief an Vitalis; Retractiones I 13,6  CC 57 ) und – auf ihn gestützt –Martin Luther ( De servo arbitrio) sprachen sich entschieden gegen die Willensfreiheit aus. Sie beriefen sich dabei unter anderem auf die obigen  Bibelzitate. Dogmatisch leiteten sie ihre Auffassung aus der Erbsünde und der Gnade Gottes her. Der sündige Mensch könne nicht aus eigenem Willen Gutes tun, sondern nur durch die Gnade Gottes und auch dann nur durch diese Erlösung finden.

 

Der Begriff des freien Willens ist auch selbstwidersprüchlich.

Freiheit ist ein Relationsbegriff. Frei sein kann man nur von etwas, nicht überhaupt. Wovon sollte der Wille denn frei sein? Ein absolut freier Wille wäre Willkür. Bestünde diese Freiheit, könnte kein Verbrecher zur Rechenschaft gezogen werden, da der Mensch dann auch frei von moralischen Maßstäben wäre.

Der Wille ist nicht frei von seiner Bildung durch Emotion oder Abwägung ( wobei jeweils auch Veranlagung, Erfahrung und Sozialisation sowie die Berücksichtigung der Folgen mitwirken).  Den dadurch entstehenden Willen kann man nicht vor der Entstehung wählen, ohne ihn bei dieser Wahl bereits zu haben. „Man kann zwar etwas tun“ und unterlassen „wollen“ ( objektive Handlungs- bez. Verhaltensfreiheit), „aber nicht etwas wollen wollen“ (subjektive  Willensfreiheit; ArthurSchopenhauer).

Gerhard Ebeling hat das treffend wie folgt ausgedrückt: „Wille aber ist immer engagierter, von etwas bestimmter Wille. Darum ist der Begriff „freier Wille“.... ein Widerspruch in sich, insofern er einen noch nicht entschiedenen, einen noch vor der Entscheidung stehenden Willen meint, als gewissermaßen  einen Noch-nicht-Willen.“

 

 

Abstract:

 

Wovon soll denn der Wille frei sein? Doch nicht von den willensbildenden Faktoren. Diese aber kann man nicht in Richtung auf einen bestimmten Willen steuern, ohne dabei diesen Willen bereits zu haben. 

 

 

 

Hier noch einige ergänzende und vertiefende Perspektiven:

 

1)  „Freiheit“ ist wie „Unabhängigkeit“ ein negierender  Begriff, der ohne Bezug nichts besagt. Freiheit gibt es nicht an sich, sondern nur „von etwas“ oder „zu etwas“.

Die Freiheit des Willens kann daher weder bedeuten, dass der Wille von seinen Ursachen (willensbildenden Faktoren wie Veranlagung, Erfahrung, Wertehaltung,Befindlichkeit ,Motiv) frei ist, noch, dass die Freiheit selbst ursächlich für den Willen ist (was Willkür bedeuten würde),sondern, dass das menschliche (im Gegensatz zum tierischen) Bewusstsein seiner selbst ein willensbestimmender Faktor ist, eine Entscheidungsinstanz auf einer Metaebene:Ich will etwas, aber tue es nicht, weil ich es doch nicht will (und umgekehrt).

 

Auf dieser Entscheidungsebene des Selbstwiderspruches ist daher der Gegensatz von Freiheit und Notwendigkeit aufgehoben.Ich kann zwar nicht etwas wollen wollen (Schopenhauer), aber Gewolltes doch nicht wollen und Nichtgewolltes doch wollen. Auch für eine solche endgültige Entscheidung sind zwar Motive bestimmend (zum Beispiel moralische Grundsätze), aber in eigentlich  ungewollter Präferenz.

 

Willensfreiheit bedeutet also die Fähigkeit, etwas doch zu wollen, was man eigentlich gar nicht will und umgekehrt.

 

Eine Taube auf dem Dach, die sich plötzlich entschließt, wegzufliegen, ohne dazu durch Futtersuche oder Verbesserung des Aufenthaltsortes usw. motiviert zu sein, handelt lediglich zufällig, um – entsprechend den Grundsätzen der Evolution - immer Neues auszuprobieren. Der Mensch, der vor zwei für ihn gleichwertige Entscheidungsmöglichkeiten gestellt wird ( „ Buridons Esel“ ), kann sich trotzdem entscheiden, allein, um sich zu entscheiden (und sei es zum Nichthandeln).Das Tier wird sich auch entscheiden, aber einfach aus probabilistischer Gewohnheit.

 

Es ist die Kompetenzkompetenz des Menschen, die missverständlich als „Willensfreiheit“ bezeichnet wird. Sie begründet die Verantwortlichkeit (gegenüber der Gesellschaft oder einer religiösen Instanz) für das eigene, von außen unbeeinflusste Verhalten trotzder Unbeeinflussbarkeit und zum großen Teil auch Unbewusstheit der willensbildenden inneren Faktoren.

 

 

 

2)  Vielleicht kann man dieses Scheinproblem an einem konkreten Beispiel aufhängen:

 

Ich sitze hier am Computer, um zu philosophieren.Ich habe die äußere Freiheit, etwas anderes zu tun, beispielsweise spazierenzugehen.

Dass ich mich zum Philosophieren entschlossen habe, beruht auf Gründen.So bringe ich von der Veranlagung her eine Präferenz für geistige Beschäftigung gegenüber einer körperlichen mit. Von der Erfahrung im Umgang mit Menschen  bringe ich eine Präferenz für das Alleinsein gegenüber realer Begegnung mit Menschen mit. Schließlich nehme ich folgende Wertung vor: Es ist besser, Gedanken zur Diskussion zu stellen ,statt sie im stillen Hirnkämmerlein mitzuschleppen. Mein Entschluss ist durch diese bildenden Faktoren zustandegekommen, also nicht frei.

Nun könnte ich sicherlich hergehen und sagen:Gerade erst recht gehe ich jetzt spazieren, um meine Willensfreiheit zu beweisen! Aber dann fasse ich eben einen neuen Entschluss, der wiederum nicht frei ist, sondern letztlich durch die Erwägung begründet ist, dem Willensdiktat zu trotzen.

 

Obwohl mein Entschluß also nicht frei, hier: nicht ohne Ursachen, zustandegekommen ist, fühle ich mich so, als hätte ich mich frei entschlossen. Auch meine Mitmenschen sehen dies so, beispielsweise , wenn mir jemand Vorhaltungen machen würde,trotz des sonnigen Wetters nicht spazierengegangen zu sein.

 

Spätestens jetzt stellt sich dieFrage, was ist denn dieses „Ich“, das sich hier so frei fühlt?.Es ist einfach der Inbegriff aller Ursachen, die zu der Entscheidung geführt haben. Es ist die Selbstbezüglichkeit von Ursache und Wirkung im eigenen Bewusstsein. Ich bin also nicht bloße Marionette der willensbildenden Faktoren, sondern ich bin diese Faktoren selbst!

 

Zum Kontrast nochmals folgendes Beispiel: Eine Taube sitzt am Rande einer Dachrinne. Sie bewegt ruckartig ihren Kopf in alle Richtungen. Plötzlich fliegt sie auf und lässt sich an der gegenüberliegenden Dachrinne eines Hauses nieder. Sie wurde weder aufgescheucht, noch trieb sie die Futtersuche  oder sonst irgendein Motiv zum Ortswechsel. Es war einfach das, was wir bei der unbelebten Materie als Spiel des Zufalls bezeichnen.

 

Die Willensfreiheit ist eine Erfindung des Kirchenvaters und katholischen Heiligen Augustinus Ihn trieb die Frage um, warum denn  die Welt so unvollkommen und schlecht (böse) ist, obwohl Gott doch allmächtig und gut ist. Er hat Gott mit folgenden Schritten zu entlasten versucht:

 

1) Das Schlechte gibt es nicht, sondern lediglich als Gegensatz zum Guten.Beide bedingen sich. Das Schlechte ist also der Preis für das Gute. (Das ist eine unzulässige Verallgemeinerung von Gegensätzen – siehe meine Ausführungen zu den Gegensätzen -, da es im vorliegenden Fall  auch das Neutrale gibt).

 

2) Das Schlechte ist nicht in der Natur, sondern Schlecht/Gut sind lediglich ein Wertungsmaßstab im Bewusstsein des Menschen (so Gott zu Hiob, Hiob 38,5).Gott hat ihn uns verliehen, um uns über die Natur erheben zu können. Denn die Natur ist wertneutral, weder böse noch gut.

 

3) Gott hat uns noch durch einen weiteren Schritt über die Natur erhoben und daher gottesebenbildlich gemacht: indem er uns die Freiheit verliehen hat, uns zwischen Gut und Schlecht (Böse) zu entscheiden.

 

Augustinus hat dabei durchaus gesehen,dass sich Gott an den uns ermöglichten Entscheidungen für das Böse „mitschuldig“ macht, da er ja in seiner Allwissenheit jede solche Entscheidung voraussieht und in seiner Allmächtigkeit verhindern kann.Aber Gott habe eben um des Geschenkes der Freiheit willen als Preis die Entscheidungen zum Bösen in Kauf genommen.Denn die Freiheit sei das, was ihn ausmache. Indem er uns einen Teil seiner Freiheit abgegeben habe, habe er uns das höchste Geschenk, die Gottesebenbildlichkeit, bereitet.

 

4) Unsere Entscheidungen für das Böse fallen nicht auf Gott zurück,denn sie werden durch seine Gnade gegenstandslos.

 

So weit zu Augustinus.

 

Luther hat gegen ihn argumentiert in seiner Schrift: „De servo arbitrio“(Über den unfreien Willen) Er teilt zwar dessen Gnadenlehre. Jedoch sieht er in der Statuierung eines freien Willens einen Verstoß gegen die biblischen Aussagen und einen Angriff auf die Allmächtigkeit Gottes. Nach dem Alten und dem Neuen Testament ist der Mensch von Grund auf schlecht. Jesus hat gesagt: „Was heißest du mich gut? Niemand ist gut denn der ewigeGott.“ Gott habe es in seiner Allmächtigkeit nicht nötig, frei zu sein, Freiheiten zu schaffen und dafür Preise zu zahlen.(eigene Anmerkung: aber Gnade zu erteilen?)

Die Lehre Luthers ist sehr kompliziert. Er unterscheidet zwischen Entscheidungen im Alltag (zum Beispiel der tätigen Nächstenliebe) und den Entscheidungen für oder gegen Gott.

 

 

 

 

3)  Willensfreiheit kann sinnvollerweise nur heißen: Freiheit des Willens von Wünschen. Wenn ich zum Beispiel jemanden schlagen „will“, es aber nicht tue, dann habe ich nicht den „Willen“ frei gewechselt, sondern habe, wenn keine Willkür vorliegt, eben meine überwiegenden, bestimmenden Gründe für den endgültigen Willen, nicht zu schlagen. Ich habe mich lediglich „befreit“ von dem Wunsch, zu schlagen, das heißt: von einer letztlich nur subjektiven Zielbestimmung meines Verhaltens. Ich schlage nicht, obwohl mir das nicht „gefällt“. Willensfreiheit heißt daher Triebsteuerungsfähigkeit, Wunschversagungsfreiheit.

 

 

4)  Willensfreiheit, Wunschunabhängigkeit, Handlungsfreiheit und Verantwortlichkeit

 

Es ist zu unterscheiden zwischen Willensfreiheit, Wunschunabhängigkeit, Handlungsfreiheit und Verantwortlichkeit.

 

Die Handlungsfreiheit ist eine Selbstverständlichkeit. Sie bedeutet die äußere Freiheit, etwas zu tun oder zu unterlassen. Sie besteht, wenn ich nicht durch Täuschung, Drohung oder körperlichen Zwang zu einem Tun oder Unterlassen bestimmt werde.

 

Die Willensfreiheit jedoch soll eine innere Freiheit bedeuten.Wenn ich aber etwas will, dann habe ich eben ein Motiv (das wiederum geprägt ist durch Veranlagung und Erfahrung). Dieses Motiv kann ich mir nicht heraussuchen. Wenn ich mir zum Beispiel das Motiv ethische Haltung dafür heraussuche, dass ich nicht töte, dann habe ich bereits den Wllen, nicht zu töten.

Freier Wille hieße Motivlosigkeit, also Willkür, Unberechenbarkeit!

Ich kann doch nicht sagen, ich will töten, aber tue es nicht, denn wenn ich es nicht tue, dann will ich es eben nicht tun!

 

Der Wille darf nicht mit dem Wunsch verwechselt werden. Ich kann zwar wünschen, jemanden, der mir verhasst ist, zu töten. Aber ich kann gleichzeitig wollen (zum Beispiel aus ethischen Gründen oder, um nicht bestraft zu werden), ihn nicht zu töten!

 

Auch ohne freien Willen bin ich für mein Handeln und Unterlassen verantwortlich. Nicht, weil ich geboren bin und so veranlagt bin, wie ich bin, und die Erfahrungen gemacht habe, die mich prägen , und daher das Motiv habe, das mein Verhalten bestimmt. Sondern weil dieses Verhalten meinem Ich zuzurechnen ist und dieses Ich nichts anderes ist als das, was bei meiner Geburt geboren worden ist, ferner das, was mir dabei an Veranlagung mitgegeben worden ist, und schließlich das, was mich an Erfahrungen geprägt hat, letztlich, was alles zu dem Motiv meines gewollten Verhaltens geführt hat.

 

Das deutsche Strafgesetzbuch kennt keine Willensfreiheit sondern  lediglich Handlungsfreiheit: Ein Straftäter ist schuldfähig, wenn er bei Begehung der Tat das Unrecht dieser Tat einsieht und gemäß dieser Einsicht handeln kann ( §§ 20, 21 StGB ), also wenn seine (persönlichkeitseigene) Willensbildung nicht (zum Beispiel –unverschuldet – durch Alkoholgenuss, Affekt usw.) so stark beeinträchtigt ist, dass sein Hemmungsvermögen beziehungsweise sein Steuerungsvermögen (gegen die Tat) wesentlich herabgesetzt ist.

Kannte er von vorneherein (aufgrund Anlage und Erfahrung) keine ausreichende Hemmschwelle oder Steuerungsfähigkeit, ist er ein Fall für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus.

Der Vorsatz umfasst als Wissen und Wollen mit letzterem natürlich auch das Willenselement. Auch die Fahrlässigkeit als Außerachtlassung der gebotenen und zumutbaren Sorgfalt umfasst das Willenselement, nämlich in negativer Hinsicht. Die Frage der Genese des Willens bleibt dabei jedoch offen. Nur in negativer Hinsicht kommt sie zum Tragen, nämlich bei den Schuldausschließungsgründen. Die Kommentierungen zu den §§ 20f StGB betonen , dass der Gesetzgeber keine Entscheidung zum Problem der Willensfreiheit getroffen habe ( vgl.insbes. Stange/Rilinger StV10/05; Schiemann NJW 29/04; Reinelt NJW 39/04; ferner die Monographievon Griffel: „Willensfreiheit und Strafrecht“).

 

 

5)  Das Problem des freien Willens wird nur für den Fall diskutiert , dass jemand, von außen unbeeinflusst und in normaler – was immer das sei – körperlicher, geistiger und seelischer Verfassung , eine Entscheidung trifft.

In seiner „Preisschrift über die Freiheit des Willens, gekrönt von der Königlich Norwegischen Societät der Wissenschaften, zu Drondheim, am 26. Januar 1839“ entlarvt Schopenhauer den „freien Willen“ als Fehler oberflächlichen Denkens. Er führt auch aus, dass es sich dabei um einen misslungenen Versuch des katholischen Kirchenvaters Augustinus handele, den Menschen für die Sünden verantwortlich zu machen. Er zitiert hierzu aus Augustinus Schrift: „De libero arbitrio“(Überden freien Willen): „Dic mihi, quaeso, utrum Deus non sit auctor mali ?-“ Sag mir bitte, ob nicht Gott der Urheber des Bösen ist?“ Und: „Movet autem animum, si peccata ex his animabus sunt ,quas Deus creavit , illae autem animae ex Deo; quomodo non , parvo intervallo, peccata referantur in Deum.“- „Folgende Frage bewegt aber mein Gemüt: wenn die Sünden aus der Seele kommen, die Gott geschaffen hat, jene Seelen aber aus Gott kommen: wieso fallen dann die Sünden nicht mittelbar auf Gott zurück?“

Seine Antwort, dass Gott dem Menschen den freien Willen verliehen habe, um eigenverantwortlich zwischen Gut und Böse entscheiden zu können – ein Akt der Liebe Gottes-, führt nicht weiter. Denn Gott muss ja in seiner Allmacht den Gegensatz von Gut und Böse (den es natürlich in der Natur nicht gibt, sondern bei dem es sich um Wertungen des Menschen handelt) und den Gegensatz von Notwendigkeit und Freiheit geschaffen haben und in seiner Allwissenheit jede Entscheidung des Menschen für das Böse vorausgesehen haben. Also bleibt Gott immer noch der Urheber des Bösen. So steht es ja auch an verschiedenen Stellen des AltenTestamentes (siehe meine Ausführungen zur Theodizee-Frage).

Luther hat sich vehement gegen die Annahme eines freien Willens gewandt und eine Streitschrift gegen Erasmus von Rotterdam, der die Freiheit des Willens verfocht ( „De libero arbitrio“- Über den freien Willen ),  verfasst mit demTitel. „ De servo arbitrio “(Über den unfreien Willen).Darin heißt es: „At talem oportere esse Deum, qui libertate sua necessitatem imponat nobis , ipsa ratio naturalis cogitur confiteri.-Concessa praescientia et omnipotentia, sequitur naturaliter,irrefragibili consequentia, nos per nos ipsos non esse factos, nec vivere, nec agere quidquam, sed per illius omnipotentiam.- Pugnat ex diametro praescienta et omnipotentia Dei cum nostro libero arbitrio.-Omnes homines coguntur inevitabili consequentia admittere, nos nonfieri nostra voluntate, sed necessitate; ita nos non facere quodlibet, pro jure liberi arbitrii, sed prout Deus praescivit et agit consilio et virtute infallibili et immutabili...“ - „Aber dass Gott ein solcher sein muss, welcher vermöge seiner Freiheit uns der Notwendigkeit unterwirft, das muss schon die natürliche Vernunft zugeben. - Wenn man die Allwissenheit und Allmacht zugesteht, so folgt naturgemäß und unwidersprechlich, dass wir nicht durch uns selbst gemacht sind oder leben oder irgendetwas tun, sondern nur durch seine Allmacht – Die Allwissenheit und Allmacht Gottes steht in diametralem Widerspruch zu der Freiheit unseres Willens. - Alle Menschen werden mit unvermeidlicher Konsequenz gezwungen, anzuerkennen, dass wir nicht durch unseren Willen, sondern vielmehr aus Notwendigkeit geschehen; so tun wir also nicht was uns beliebt, nach dem Gebot unseres freien Willens, sondern handeln so, wie Gott es vorgesehen hat und durch unfehlbaren und unwandelbaren Ratschluss und Willen ausführt. “

Statt „Gott“ kann man natürlich „Evolution“ setzen. Die Auffassung Luthers ist wohl fatalistisch(„sola gratia“-“allein durch die Gnade Gottes werden wir erlöst“). aber weltlich betrachtet, entspricht sie den Erkenntnissen der Naturwissenschaft, wonach sich Entscheidungen im Hirn  schon ablesen lassen, bevor sie bewusst getroffen werden ( Versuche von Libet).

Von Luther ist in diesem Zusammenhang noch folgendes Zitat nachzutragen: „Ich kann den Gott, der die Sünder straft, nicht lieben, ich hasse ihn und seine Gerechtigkeit.“ Dieses Zitat stammt noch aus der Zeit seines klösterlichen Aufenthaltes, also vor Verfassung seiner Gnadenlehre (bei der er sich jedoch die Frage gefallen lassen muss, warum Gott die Möglichkeit der Sünde geschaffen hat, um dann doch Gnade walten zu lassen?!).

 

 

 

6) Aphoristisch:

 

Man kann nichts anderes wollen als, was man will! Man kann seine Willensbildung nicht in Richtung eines bestimmten Willens steuern, ohne diesen Willen bereits zu haben.

 

Man kann sich zwischen mehreren Verhaltensweisen entscheiden, aber nicht zwischen mehreren Entscheidungsmöglichkeiten, ohne bei der Auswahl die ausgewählte Entscheidung bereits getroffen zu haben

 

Jede freie – das heißt  von inneren und äußeren störenden Einwirkungen unbeeinflusste – Entscheidung ist subjektiv zwingend. Sonst wäre sie nicht getroffen worden. Niemand kann seine eigene Entscheidung steuern, ohne sich bereits entschieden zu haben.

 

Niemand kann sich einen anderen Willen bilden, als denjenigen, den er schließlich hat.

 

Um eine nicht willkürliche und nicht rein emotionale Entscheidung zwischen verschiedenen Verhaltensweisen treffen zu können, muss ich die Gründe für und gegen die objektiv möglichen Verhaltensweisen abwägen. Diese Abwägung kann ich nicht in Richtung einer bestimmten Entscheidung steuern, ohne mich für diese Entscheidungsmöglichkeit bereits entschieden zu haben. Auch eine überlegte Entscheidung ist daher subjektiv immer zwingend. Man kann nichts anderes wollen als, was man will!

 

 

 

7) Willensfreiheit und Verantwortung

 

Das Problem der Willensfreiheit beruht auf einer Denkunschärfe, der unscharfen Trennung zwischen objektiven Verhaltensmöglichkeiten, subjektiver Entscheidung und Verantwortlichkeit, der Handlungs – und Unterlassungsfreiheit und der Willensbildung.

Selbstverständlich sind wir, sofern wir keinen äußeren und/oder inneren Zwängen unterliegen, frei in der Wahl möglicher Verhaltensweisen. Aber Voraussetzung für eine solche bestimmte Auswahl ist der Wille hierzu. Dieser Wille wird gebildet aus unbewussten und bewussten Faktoren wie Veranlagung, Erfahrung, gesellschaftlich vermittelter (auch durch Drohung von Sanktionen) Wertehaltung usw. Sowohl der emotionale,.spontane als auch der auf einer rationalen Abwägung beruhende konkrete Wille stellt sich dann aufgrund eines solchen, von den erwähnten Faktoren gesteuerten Entscheidungsprozesses ungewollt ein. Auch die Änderung oder Aufhebung dieses Willens geschieht nicht frei, sondern zumindest aufgrund  eines Motiv wandels – und sei es aufgrund des Motivs, sich oder anderen seine Handlungsfreiheit zu beweisen.

 

Der Wille selbst kann also nicht wiederum (wie die Verhaltensweisen) ausgewählt werden. Das führte auch zu einem unendlichen Regress: Auch für die Auswahl des Willens müsste wieder ausgewählt werden und so weiter. Der Wille wird also aufgrund unbewusster oder bewusster Ursachen gebildet zur Auswahl der freien Verhaltensmöglichkeiten. Er selbst ist nicht frei, auch nicht in seiner Änderung.

Wovon sollte er auch frei sein? Wäre er von willensbildenden Faktoren frei, läge Willkür vor. Der Wille wird subjektiv zwingend gebildet, um objektiv frei handeln zu können.

 

Die Verantwortlichkeit ergibt sich aus der Zurechnung des Verhaltens und des zugrundeliegenden Willens, nicht aufgrund einer subjektiven Freiheit. Jeder Mensch muss sich seine willensbildenden Faktoren – sofern es sich dabei nicht um nicht selbstgewählte Unfreiheiten wie Zwang, Gewalt, Krankheit usw. handelt – als dasjenige zurechnen lassen, was seine Persönlichkeit, sein Ich ausmacht. Wer sein Leben annimmt – also nicht auslöscht -, sagt auch Ja zu dem, was seinen Willen bildet, und zu seinem Willen selbst. Er wird daher an seinen Persönlichkeitsmerkmalen wie dem Willen  gemessen.

Nicht weil er anders hätte handeln oder statt zu handeln unterlassen hätte können, wird sein Verhalten positiv oder negativ beurteilt. Denn die objektiven Handlungsmöglichkeiten sind bei jedem Menschen frei. Vielmehr wird er gelobt und getadelt, verehrt und verurteilt wegen seiner Persönlichkeit!

 

 

 

 

 

 

 

                    

 

 

 

 

 

 

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